Elend

elend, n. exilium, captivitas, miseria. ahd. elilenti für alilanti, alts. elilendi […].

1) urbedeutung dieses schönen, vom heimweh eingegebnen wortes ist das wohnen im ausland, in der fremde, und das lat. exsul, exsilium, gleichsam extra solum stehen ihm nahe.

(Grimms Wörterbuch)

In Sorge gehen die Deutungen des Ortsnamens auseinander: Grenze oder Kummer? In Elendalia landa, eli lenti, in der Fremde – fallen sie zusammen, zumindest führt ein Weg von einer zur anderen, der Raum dazwischen wird betretbar. Die Grenze ist das Elend. Aber nicht, weil sie unüberwindbar wäre, weil man nicht wegkäme, im Gegenteil: Man hat sie überquert, von niemandem gehindert, von nichts gehalten hat man das Vertraute hinter sich gelassen, jedes Mal wie zum ersten Mal, von allem losgelöst, jedes Mal wie zum ersten Mal begreift man, dass man an den Ausgangspunkt nie zurückkehren kann, auch wenn man immer wieder von einem Punkt aufbricht, ist jeder Aufbruch endgültig.

Vielleicht lag auf Orten ein Fluch. Auf Orten und auf Menschen. Hatte nicht die Alte seinen Vater auf der Treppe angeschrien: Du hast den Teufel im Leib? Vielleicht war sein Vater der Teufel? Und die Urlauberin, die sich im Elendstal den Berg hinuntergestürzt hatte? Im Elendstal! Zog das Wort nicht schon das Elend an sich? Und ihr Dorf erst! Ihr Dorf hieß Elend. Jedesmal, wenn er in Büchern oder in der Zeitung das Wort Elend las, sah er es schon einige Zeilen vorher. Elend, hier waren sie wieder gemeint. Einmal hatte er sich die Bücher seines Vaters angesehen, da standen drei Bände Die Elenden. Er dachte, das wäre so etwas wie die Ortschronik.

(Christoph D. Brumme, Nichts als das, Berlin, 1994)